Wenn die Speichen knirschen

Der deutsche Mittelstand zwischen Transformation und Fachkräftemangel

Ein klarer Morgen am Bodensee. Im Werk von Weber & Sohn laufen noch die alten Diesel-Pumpen vom Vortag, während auf dem Nachbargrundstück die ersten Prototypen für elektrische Antriebe leise anlaufen. Es ist ein Bild, das sinnbildlich für viele mittelständische Betriebe in Deutschland steht: Sie halten den laufenden Betrieb am Leben – und bauen gleichzeitig an der Zukunft.

Zwischen Umbruch und Fachkräftelücke

Der Mittelstand steckt mitten in einer doppelten Herausforderung. Auf der einen Seite zwingt der technologische Wandel Unternehmen dazu, sich neu aufzustellen. Elektromobilität, Digitalisierung und strengere Klimaziele verändern Produkte und Produktionsprozesse grundlegend. Auf der anderen Seite fehlen vielerorts die Fachkräfte, um diesen Wandel überhaupt umsetzen zu können.

Seit 2019 sind in der Automobilbranche über 46.000 Arbeitsplätze weggefallen, bis 2035 könnten es rund 140.000 weitere sein. Zugleich herrscht in technischen Berufen akuter Personalmangel. In Baden-Württemberg, einer der stärksten Industrie- und Maschinenbauregionen Europas, kommen auf 100 Arbeitslose inzwischen rund 150 offene MINT-Stellen.

Über 70 Prozent der Automobilzulieferer berichten, dass sie den Fachkräftemangel deutlich spüren. Auch im Maschinenbau müssen viele Betriebe ihre Produktion einschränken, weil qualifiziertes Personal fehlt.

Lösungen aus der Praxis

Um dem entgegenzuwirken, setzen viele Unternehmen auf eigene Strategien. Kooperationen mit Hochschulen, duale Studiengänge oder gezielte Weiterbildungen sind inzwischen Standard. Die Dietz GmbH aus Coburg etwa hat ihre Produktpalette erweitert und den Anteil an Automotive-Produkten von 75 auf unter 50 Prozent gesenkt. Durch die Erschließung neuer Märkte in der Medizintechnik und im Haushaltssegment konnte das Unternehmen nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch die eigene Belegschaft weiterqualifizieren.

Südwesten als Modellregion

Besonders deutlich wird die Dynamik im Südwesten Deutschlands. Rund um den Bodensee und im Schwarzwald-Baar-Kreis sind zahlreiche Familienunternehmen angesiedelt – viele davon in der Feinmechanik, Messtechnik und im Maschinenbau. Sie gelten als innovativ, flexibel und fest in ihren Regionen verankert.

Doch gerade hier zeigen sich die Folgen des Fachkräftemangels besonders stark. Eine Studie der IG Metall prognostiziert, dass allein im Maschinenbau bis 2034 rund 178.000 Arbeitskräfte fehlen könnten. Regionale Initiativen versuchen gegenzusteuern. Netzwerke wie TIM, CARS 2.0 oder „Mittelstand am See“ fördern Weiterbildung, Wissenstransfer und Kooperation – mit dem Ziel, den Wandel gemeinsam zu gestalten.

Standortfaktor Lebensqualität

Neben Technologie und Innovation spielt die Lebensqualität der Regionen eine zunehmend wichtige Rolle. Der Bodensee, der Schwarzwald, kurze Wege und eine hohe Freizeitqualität – all das macht den Standort attraktiv für Fachkräfte, die mehr als nur einen Arbeitsplatz suchen.

Viele Unternehmen nutzen diesen Vorteil gezielt, werben mit flexiblen Arbeitsmodellen, Entwicklungsmöglichkeiten und einem modernen Arbeitsumfeld.

Balance zwischen Wandel und Stabilität

Der Mittelstand bleibt damit ein zentrales Element der deutschen Wirtschaft – aber er steht vor einem Balanceakt. Er muss neue Kompetenzen aufbauen, ohne bestehende Strukturen zu gefährden. Digitalisierung, Qualifizierung und regionale Zusammenarbeit sind die Schlüssel, um diesen Spagat zu meistern.

Politik, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen stehen gemeinsam in der Verantwortung, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen: mit schnellen Anerkennungsverfahren für internationale Fachkräfte, verlässlicher Förderung und unbürokratischer Unterstützung.

Gelingt dieser Schulterschluss, kann der Mittelstand seine besondere Stärke bewahren – als Rückgrat der deutschen Wirtschaft, das Tradition und Zukunft miteinander verbindet.

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