Fit für die Zukunft? Der Mittelstand im Umbruch
Angesichts von über 200.000 anstehenden Betriebs-Nachfolgen steht der deutsche Mittelstand vor seiner größten Bewährungsprobe – personell, finanziell und kulturell.
Die Morgensonne glitzert auf dem Bodensee, als Inhaber Klaus Meier zum letzten Mal durch die Werkshallen seines Maschinenbaubetriebs schreitet. In wenigen Tagen übergibt er sein Lebenswerk an eine externe Führungskraft – seine Tochter hat andere Pläne, und familieninterne Nachfolger gibt es nicht. Er ist einer von mehr als 215.000 Unternehmern, die bis Ende 2025 eine Nachfolgelösung suchen müssen. Während Meier noch optimistisch bleibt, zeichnet sich hinter den Kulissen eine Zeitenwende ab: Der deutsche Mittelstand, einst Synonym für Kontinuität und Generationentradition, steht vor personellen Engpässen, Finanzierungsproblemen, digitaler Rückständigkeit und kulturellen Spannungen.
Globale Perspektive: Mittelstand als Rückgrat in der Krise
Der weltweite Druck auf Industrienationen wächst: Lieferketten sind instabil, Energiekosten steigen, und geopolitische Spannungen verlangen Resilienz. In dieser Gemengelage ist der Mittelstand nicht nur Produktionsmotor, sondern Innovationsquelle – vorausgesetzt, der Generationswechsel gelingt.
Studien zeigen jedoch, dass global ein Käufermarkt für etablierte Betriebe entsteht: Einerseits profitieren Übernehmer von bewährten Geschäftsmodellen, andererseits droht ein massiver Verlust an Know-how, wenn über 230.000 Unternehmen bis Jahresende schließen, anstatt übergeben zu werden.
In vielen Ländern etablieren Staaten Nachfolge-Initiativen: Japan etwa fördert gezielt weibliche Erwerber, und in den USA bieten Bundesprogramme Gründerdarlehen für Übernahmen. Doch selbst dort bleibt die Lücke zwischen ausscheidenden Unternehmern und qualifizierten Nachfolgern groß – ein globales Symptom des demografischen und kulturellen Wandels.
Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage
In Deutschland verschärft sich das Problem: Laut DIHK-Bericht suchten 2024 knapp 10.000 Betriebe professionelle Nachfolgeberatung, doch nur rund 4.000 Interessenten fanden sich. Damit klafft eine Lücke von über 5.600 Unternehmen, die mangels Nachfolgelösung schließen könnten. 72 % aller Übergaben erfolgen aus Altersgründen, während nur 12 % aus strategischen Betriebserwägungen resultieren. Diese Zahlen verdeutlichen, wie eng Zeitrahmen und Ressourcen sind.
Finanzierung als Schlüssel
Die Finanzierung entscheidet oft über den Erfolg der Nachfolge. Klassische Bankkredite stoßen bei Kaufpreisen schnell an Grenzen, besonders wenn Eigenkapital fehlt. Der ERP-Förderkredit Gründung und Nachfolge der KfW bietet hier attraktive Konditionen, doch vier von zehn Interessenten berichten weiterhin von Finanzierungsproblemen. Neben Eigenmitteln kommen Bürgschaften, Förderprogramme und Hausbankdarlehen zum Einsatz. Ein Praxisfall zeigt: Ohne KfW-Bürgschaft hätten viele Kreditinstitute nicht für die Übernahme geliehen.
Organisatorische und emotionale Hürden
Die Unternehmensnachfolge ist weit mehr als ein betriebswirtschaftlicher Vorgang. Unternehmer erleben einen Identitätsverlust: „Wer bin ich ohne mein Unternehmen?“ Dieses Emotional-Management erfordert frühzeitige Kommunikation. Mitarbeiter müssen eingebunden und Gerüchten durch Transparenz vorgebeugt werden. Gleichzeitig führt fehlendes Wissensmanagement zu Wissensverlust – implizites Know-how von Inhabern verschwindet, wenn Prozesse nie dokumentiert wurden.
Region Bodensee / Südlicher Schwarzwald: Vorreiter und Brennpunkt zugleich
Der Raum Bodensee-Oberschwaben ist ein Beispiel für die Dringlichkeit vor Ort. Mit 40 % aller Firmenchefs über 55 Jahren weist die Region einen überdurchschnittlichen Handlungsdruck auf. Rund 3.143 Mittelständler (Umsatz 0,25–50 Mio. €) stehen bis 2027 vor der Nachfolgefrage, wobei 84 % familieninterne Strukturen aufweisen. Die IHK Bodensee-Oberschwaben bietet jährlich über 30 Veranstaltungen, in denen lokale Nachfolgeberater praxisnahe Tipps vermitteln.
Transformation und Kulturwandel
Gerade in traditionellen Familienbetrieben gilt es, die Unternehmenskultur zu öffnen: Agile Organisationsformen, Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsinitiativen wecken Interesse bei potenziellen Nachfolgern. In Baden-Württemberg setzt schon heute das Land mit eigenen Nachfolgemoderatoren ein Zeichen, um Unternehmer*innen zu schulen und Fördermittel der L-Bank bereitzustellen.
Ausblick & Fazit: Chancen nutzen, Risiken managen
Der Generationenwechsel birgt Risiken, doch auch Chancen:
- Innovationsfenster: Die Übergabe ist ein ideales Zeitfenster für digitale Transformation, die Effizienz, Transparenz und Attraktivität für Übernehmer steigert.
- Neue Rollen für NextGen: Flexible Nachfolgemodelle wie Beteiligung im Beirat oder Spin-offs bieten der jungen Generation Raum für Selbstverwirklichung und gleichzeitig Vertrauen in die Tradition.
- Diversifizierung der Nachfolger-Pipeline: Frauen mit unternehmerischen Ambitionen sind bislang unterrepräsentiert (25 % Nachfolgeinteressierte vs. 40 % Gründungen). Bessere Vernetzung und gezielte Ansprache könnten dieses Potenzial heben.
Damit die Welle der Nachfolger-Messen nicht zum Flutereignis avanciert, braucht es ein Bündel aus frühzeitiger Planung, professioneller Beratung, passgenauer Finanzierung und gelebter Kulturtransformation. Denn nur wer den Staffelstab nicht loslässt, sondern ihn neugestaltet, kann das Lebenswerk in eine zukunftsfähige Ära führen.
Quellen
KfW-Nachfolgemonitor 2025 [1]
KERN-Studie IHK Bodensee-Oberschwaben 2022 [8]
DIHK-Report Unternehmensnachfolge 2025 [3]
IHK-Förderberatung „Finanzierung der Unternehmensnachfolge“ [4]
Regionalinitiative Nachfolgemoderation BW [10]
IHK-Veranstaltungsreihe Unternehmensnachfolge im Ländlichen Raum [9]
DIHK-Report Finanzierungsperspektiven [5]
DA-Global: Kommunikation als Erfolgsfaktor [6]
IFH Köln: Wertewandel der NextGen [7]
Unternehmer Orange: Digitalisierung und Nachfolge [11]
Markt & Mittelstand: NextGen-Lösungen [12]
1. sage.com
2. marktundmittelstand.de
3. nordstadtblogger.de
4. ihk.de
5. bb-br.de
6. da-global.de
7. ifhkoeln.de
8. kern-unternehmensnachfolge.com
9. ihk.de/bodensee-oberschwaben
10. hwk-heilbronn.de
11. unternehmer-orange.de
12. marktundmittelstand.de
13–37. Weitere Quellen unter anderem von kfw.de, bdu.de, startupbw.de u.v.m.