Standpunkte.

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Die jüngste Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Südwesten ist besorgniserregend.
Georg Hiltner

Hauptgeschäftsführer der HWK Konstanz

Die jüngste Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Südwesten ist besorgniserregend.
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Georg Hiltner

Hauptgeschäftsführer der HWK Konstanz

HWK Konstanz Fachkräftemangel und Herausforderung bei der Transformation

Das folgende Gespräch mit Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der HWK Konstanz, beleuchtet die aktuelle Lage zum Fachkräftemangel im regionalen Kontext.

Standpunkt.Wirtschaft:
Herr Hiltner, herzlichen Dank, dass Sie sich für das Interview zur Verfügung stellen. Zum Einstieg: eine kurze Vorstellung der Handwerkskammer Konstanz. Sie betreuen eine größere Wirtschaftsregion – wie sind Sie strukturiert und welche Besonderheiten prägen das Handwerk in der Region Hochrhein–westl. Bodensee–Schwarzwald-Baar-Heuberg?

Georg Hiltner:
Die Handwerkskammer ist einer der großen Bildungsträger in Baden-Württemberg fürs Handwerk. Wir haben in den Landkreisen Bildungszentren, dort bieten wir Aus- und Weiterbildung sowie Fortbildungen und Zertifizierungen an.

Der zweite große Aspekt ist, dass wir Dienstleister des Handwerks sind – mit einem umfassenden Beratungsportfolio vom Start der Gründung über die gesamte Lebensphase eines Betriebs bis hin zur Übergabe oder Abwicklung. Darüber hinaus ist die Handwerkskammer politischer Begleiter und gibt entsprechende Stellungnahmen ab.

Wir betreuen rund 13.500 Handwerksbetriebe im Südwesten über fünf Landkreise: Waldshut, Konstanz, Tuttlingen, Rottweil und Schwarzwald-Baar. Die wirtschaftliche Struktur ist stark mittelständisch geprägt. Gleichzeitig sehen wir die Herausforderungen der Transformation, die schwierige Lage der Exportwirtschaft und einen schwächelnden Binnenmarkt.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie nehmen Sie die aktuelle Personalsituation in den Betrieben wahr? Ist die Auswirkung des Fachkräftemangels spürbar?

Georg Hiltner:
Der Fachkräftemangel ist deutlich spürbar – wie überall. Er beginnt bereits bei der Ausbildung junger Menschen. Wir tun alles, um Jugendliche dafür zu begeistern, nach ihrem ersten Bildungsabschluss eine Ausbildung zu beginnen.

In technologieaffinen Gewerken wie Sanitär-Heizung-Klima, Elektrotechnik und Kfz haben sich die Anforderungen stark verändert. Qualifikation spielt eine immer größere Rolle, um mit modernen Technologien umzugehen. Viele qualifizierte Fachkräfte landen jedoch in der Industrie und nicht im Handwerk.

Standpunkt.Wirtschaft:
Zeigen sich Unterschiede bei den technologisch orientierten Gewerken, den sogenannten Klimaberufen?

Georg Hiltner:
Die Klimaberufe haben eine hohe Attraktivität bei der jungen Generation. Wir sehen dort eine Zunahme an Ausbildungsverhältnissen – bevorzugt bei jungen Menschen mit mittlerem Abschluss oder Abitur.

Diese Abschlüsse werden von den Unternehmen zunehmend gewünscht, da die Anforderungen sehr hoch sind. Allerdings gilt: In allen Gewerken besteht Fachkräftemangel. Junge Menschen fragen stärker nach Sinnhaftigkeit und ihrem Beitrag zur Gesellschaft – daher stehen Berufe, die das bieten, stärker im Fokus.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie sehen Sie die wichtigsten Ursachen für den Fachkräftemangel in der Region? Es gibt Besonderheiten wie die Nähe zur Schweiz oder den Wohnungsmangel.

Georg Hiltner:
Das ist genau der Punkt. Die Nähe zur Schweiz – als Nicht-EU-Land – führt zu einer starken Abwanderung, da das Lohngefälle zwischen der Schweiz und Deutschland erheblich ist.

Zwar kommen einige Menschen wieder zurück, weil sie feststellen, dass es dort nicht so einfach ist wie gedacht, aber insgesamt bleibt die Tendenz zur Abwanderung. Hinzu kommt das Thema Wohnraum: ein zentrales Problem, insbesondere im Landkreis Konstanz. Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum, zu wenig Kitaplätze, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist schwierig. Das erschwert es, Fachkräfte von außerhalb zu gewinnen.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie hat sich die Situation entwickelt und wie sehen die Zukunftsaussichten aus?

Georg Hiltner:
Volkswirtschaftlich betrachtet werden wir uns 2025 wohl noch in einer Talsohle befinden. Für 2026 rechnen wir mit leichtem Wachstum ab dem zweiten Quartal.

Das hängt stark von globalen Entwicklungen ab – USA, Ukraine, geopolitische Spannungen. Die Verunsicherung im Mittelstand muss aufhören. Planungssicherheit ist entscheidend, damit Betriebe wieder investieren und Personalbedarf kalkulieren können.

Wir brauchen klare politische Rahmenbedingungen, insbesondere im Bereich der Automobilindustrie. Die jüngste Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Südwesten ist besorgniserregend.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie unterstützen Sie die Betriebe konkret beim Fachkräftemangel?

Georg Hiltner:
Wir bieten digitale Fachkräftebörsen, Netzwerke und Beratungsleistungen in Personal- und Ausbildungsfragen. Wir helfen Betrieben, effizienter zu werden, Prozesse zu optimieren und mit weniger Fachkräften stabile Ergebnisse zu erzielen.

Dazu kommen zahlreiche Qualifizierungsangebote – von handwerklicher Exzellenz über Personalführung bis hin zur Digitalisierung. In der Betriebsberatung unterstützen wir aktiv und zeigen Wege auf, wie Betriebe Stellenangebote attraktiver gestalten und neue Kanäle nutzen können.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie erfolgreich sind Ihre Initiativen bei der Integration internationaler Fachkräfte und Geflüchteter?

Georg Hiltner:
Die Erfahrungen sind gemischt. Die Bereitschaft, ausländische Fachkräfte über Agenturen anzuwerben, nimmt ab – die Integrationsleistung ist enorm. Erfolgreiche Beispiele gibt es, etwa im Landkreis Schwarzwald-Baar mit Fachkräften aus Indonesien.

Doch Integration erfordert soziale und kulturelle Begleitung, Sprachförderung und Unterstützung im Alltag. Wir fördern Programme wie das Kümmerprogramm und setzen uns für bessere Sprachförderung ein. B2-Sprachniveau reicht oft nicht aus für sicherheitsrelevante Tätigkeiten.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie sehen Sie die bürokratischen Hürden bei der Integration?

Georg Hiltner:
Die Bürokratie in Deutschland ist erdrückend – für Betriebe wie Institutionen gleichermaßen. Das erschwert es, Menschen schnell in Arbeit zu bringen.

Wir fordern von der kommenden Landesregierung mehr Unterstützung für die duale Ausbildung, insbesondere beim Thema Azubi-Wohnen. Studentenwohnheime gibt es viele, Azubi-Heime kaum. Zudem brauchen wir Investitionen in unsere Bildungsstätten und eine deutliche Entlastung von bürokratischem Aufwand.

Standpunkt.Wirtschaft:
Tragen Formate wie das freiwillige Handwerksjahr zur Nachwuchsgewinnung bei?

Georg Hiltner:
Das Handwerksjahr ist eine hervorragende Initiative. Junge Menschen können verschiedene Positionen ausprobieren – das begeistert. Wir fördern Kooperationen zwischen akademischer und handwerklicher Ausbildung, etwa über das Projekt Walz 4.0 mit der HTWG Konstanz. Studierende und angehende Meister profitieren gegenseitig von Theorie und Praxis. Mit den IHKs der Region arbeiten wir eng zusammen, um gemeinsame Ausbildungsinitiativen zu entwickeln.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie unterstützen Sie die Betriebe bei Digitalisierung und Energiewende?

Georg Hiltner:
Wir haben massiv in unsere Bildungszentren investiert und moderne Didaktik mit digitalen Medien etabliert – von VR-Anwendungen über Simulationen bis hin zu Videotrainings. Junge Menschen lernen anders, das berücksichtigen wir konsequent.

Außerdem bieten wir Digital- und Technologieberatung, um Prozesse zu optimieren. Seit eineinhalb Jahren zeigen wir Handwerksbetrieben den Einsatz kleiner Roboter – Effizienz und Innovation gehen Hand in Hand. Auch Prüfungsordnungen müssen sich dynamisch anpassen. Dafür investieren wir in Weiterbildung unserer Lehrmeister.

Standpunkt.Wirtschaft:
Wie sichern Betriebe Wissen, wenn erfahrene Fachkräfte in den Ruhestand gehen?

Georg Hiltner:
Wissenssicherung ist ein zentrales Thema. Wir sensibilisieren frühzeitig für Nachfolgeplanung und Wissenstransfer – digital wie analog. Trotzdem geht immer Erfahrungswissen verloren, wenn langjährige Mitarbeiter ausscheiden.

Wichtig ist, die Übergabe gut zu gestalten und neue Mitarbeiter systematisch einzuarbeiten. Auch wir in der Kammer erleben gerade einen Generationenwechsel – das ist eine Herausforderung, die alle betrifft.

Standpunkt.Wirtschaft:
Zum Abschluss: Was ist Ihr persönlicher Appell an die Betriebe, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Georg Hiltner:
Wir verstehen uns als Netzwerkpartner, der Betriebe vernetzt und unterstützt. Mein Appell: Macht euren Betrieb attraktiv – bietet Praktika, ermöglicht Schnuppertage, zeigt eure Betriebe von der besten Seite. Sprecht junge Menschen aktiv an!

Und denkt langfristig: Digitalisierung, Prozessoptimierung und Kundenkommunikation sind genauso wichtig wie handwerkliche Qualität. Das Lernen hört nie auf – und wer sich weiterentwickelt, bleibt erfolgreich.

Das Interview wurde am 11. September 2025 geführt und behandelt umfassend die Herausforderungen des Fachkräftemangels im Handwerk sowie konkrete Lösungsansätze und Zukunftsstrategien der Handwerkskammer Konstanz. Wir bedanken uns herzlich bei Georg Hiltner für dieses Gespräch.

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